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Signal. Sonderausgabe der
Berliner Illustrirten Zeitung.
Deutscher Verlag Berlin,
1940 – 1945.

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[ Documents & Research ] → Hilmar Pabel Letter




"Der Krieg ist ganz plötzlich wie eine
rasende Hyäne über uns hergefallen."



Hilmar Pabel was a photographer and Sonderberichter (special correspondent) for Signal. As such he was attached to the Berichterstaffel Signal of OKW/WPr's rapid response force, the Propaganda-Einsatz-Abteilung in Potsdam.

On Monday, November 22, 1943, Pabel was in Potsdam to attend a training course when the air raid began. This would turn out to be the most effective raid on Berlin of the war, igniting several firestorms and causing heavy damage, mainly to residential areas west of the center. Approximately 175,000 people were made homeless.

After the raid Pabel and other members of Prop.Eins.Abt. Potsdam were deployed to help with the salvage operations in the center of Berlin. During this further raids occurred, exacerbating the damage. Pabel's own home was destroyed in the attacks.

Excerpts from the letter are reproduced here unchanged with the exception of added line breaks.

See also:




Donnerstag, 25. November 43, 2 Uhr nachts

  (...)

  der Krieg ist ganz plötzlich wie eine rasende Hyäne über uns hergefallen. Ich sitze mit rußgeschwärzten Händen im Keller des Hochhauses am Alexanderplatz auf Telefonwache und komme seit 3 Tagen das erste Mal dazu, Dir ein paar Zeilen über unser Schicksal zu schreiben.

  Berlin hat in diesen Nächten ein grauenerregendes Gesicht bekommen. Es ist das Gesicht einer schwer heimgesuchten, verwüsteten Stadt und die Erinnerung an Hamburg wird jedem wach, der durch die Straßen geht. Wenn wir es bisher für unmöglich gehalten haben, daß Berlin in diesem Maße angegriffen werden kann, so sind wir inzwischen eines anderen belehrt worden.

  Vom Adolf Hitler-Platz bis hoch in den Norden am Stettiner Bahnhof ist eine nahezu ununterbrochene Kette von rauchenden, heute noch brennenden Ruinen. Große, 5stöckige Häuser am ganzen Kaiserdamm die Achse hinunter bis Unter die Linden recken ihre riesigen kahlen Mauerwerke furchterregend in die trübe Luft. Gestern kam endlich das Tageslicht durch die Rauchschwaden, die über Berlin standen. Was soll ich dir aufzählen, wo zuerst beginnen!

  Ich hatte auf der Hauptpost in Potsdam doch am Montag abend noch ein Brieflein geschrieben, weißt, ich hatte es merkwürdig eilig, weiß selbst nicht, warum. Kaum war ich an der Ende-Haltestelle aus der 3 gestiegen, als die Sirenen losheulten. Ich rannte ins Lager u. kam gerade noch rechtzeitig in unseren Bunker, als die Scharen der einfliegenden Maschinen über uns hinwegbrausten, heftig beschossen von der Flak. Irgendwo gingen 2 Bomben herunter, daß der Luftdruck scheußlich in die Ohren drückte.

  Etwa 1 ½ Stunden lang ging das hinter einanderweg so fort. Dann wurde es still u. bald kam auch die Entwarnung. Wir bekamen Befehl, aufzubleiben, dann, uns angezogen hinzulegen. Um 4 Uhr kam der U. v. D. [Unteroffizier vom Dienst] uns wecken: alles marschmäßig fertig zu machen, um ½ 6 Abmarsch nach Berlin auf Räumungskommando innerhalb des Katastrophendienstes.

  Es wurde fast 6 Uhr, als wir endlich losfuhren, bepackt mit Tornister, Stahlhelm, Gasmaske, Gewehr mir scharfer Munition, Schippen u. Hacken, Zeltbahn, Decke, Kochgeschirr, also alles so, wie für den Fronteinsatz.

  Und dann fuhren wir auf Lastwagen über die Avus u. den Adolf Hitlerplatz die Achse hinunter. Hinten am Ende des Wagens sass einer, der Aussicht hatte u. den Berichterstatter spielte. Der Adolf-Hitler-Platz brennt, sagte er, das Hochhaus ist ausgebrannt, überall in den Seitenstraßen ist es hellrot. Die Städtische Oper brennt, das Schillertheater, die Technische Hochschule, der Pariser Platz mit 2 Botschaften, (inzwischen ist durch den 2. Angriff auch die englische Botschaft an der Ecke Wilhelmstraße weg). Und gestern fuhr ich, um in unsere Wohnung zu kommen, mit einem Lastwagen wieder die Achse hinauf - Die Linden sahen schrecklich aus. Das Café unter d. L., in dem wir mal gesessen, ist eine Ruine. Gegenüber alles weg. Die Friedrichstraße entlang bis zum Bahnhof alles ausgebrannt. Die Luisenstraße ein Trümmerfeld. Der Potsdamer Bhf ausgebrannt, der Lehrter Bhf ausgebrannt, der Stettiner Bhf. bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, dort war es, wie unser Spieß berichtete, auch gestern noch Nacht, kurzum Trümmer über Trümmer. Wahrscheinlich also auch Großmutters Wohnung weg.

  (...)

  Der Bahnhof Alexanderplatz, den wir abgezäunt haben, ist ein ausgebranntes Skelett, gestern sausten nochmals Brandbomben hinein, uns gegenüber in das Polizeipräsidium, die Häuser ringsum bis auf vier große Bauten durcheinandergerüttelt, natürlich keine Scheibe mehr ganz, Straßenbahnen fahren überhaupt nicht, die S- u. U-Bahn streckenweise, fürcherlich überfüllt.

  Rings um den Zoo sehr Vieles ausgebrannt: die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche, die großen Kinos, Ufa-Zoo, Kapitol, Gloria, alles weg, das KdW [Kaufhaus des Westens] soll auch zerstört sein, ein grosser Teil der Tiere des Zoo's lief frei herum. Eisbären, Füchse u. weiß ich was. Elefanten sind verbrannt, die Raubtiere mußten z.T. erschossen werden, das Eden-Hotel abgebrannt, hieß es gestern, Fürstenhof u. Esplanade sollen auch weg sein, hier die Zentralmarkthalle völlig ausgebrannt[.] Am Bhf. Tiergarten hängt die Brücke über die Achse auf einer Seite herunter, der Lützowplatz war ein Flammenmeer, als wir daran vorbeifuhren. Gestern wollte ich vom Kaiserdamm die Wilmersdorfer Straße hinauf über Bhf. Charlottenburg zu uns. Es ist überhaupt nicht reinzukommen. (...)

  Wir waren also Dienstag früh um ½ 8 hier am Alex, es war so grau u. finster den ganzen Tag, so daß ich kaum eine Aufnahme auf U-Film machen konnte. Ich versuchte den ganzen Tag über, Vater im Büro zu erreichen, bis um 3 Uhr nachmittags war er nicht da, unser Amt 89 meldete sich überhaupt nicht, also sagte ich mir, es muß etwas passiert sein. Um 3 Uhr wurde der Verlag geschlossen, die Wenigen, die ihn überhaupt erreicht hatten, gingen wieder "nach Hause". Ich ersuchte unseren Komp.Chef um 2 Stunden Urlaub, [illegible] abgelehnt.

  Gestern abend endlich, kurz nach 5 Uhr, wurden wir bis ½ 8 Uhr beurlaubt. Ich hielt mit der Taschenlampe hier unter der Bahnüberführung einen Lastwagen an, mit dem kam ich bis zum Knie, von dort weiter bis zur Wilmersdorfer, dort konnt ich aber nicht durch u. nahm einem weiteren Wagen bis Kaiserdamm — Bhf. Witzleben. Über Schuttberge kletterten die Leute, ohne Fahrkarten, auf den Bahnsteig, 5 Minuten später kam der Pendelzug nach Halensee, dort umsteigen, Pendelzug bis Schmargendorf. So kam ich zu unserm Bahnhof.

  Ich hatte seit 3 Tagen fast nicht geschlafen, vom vielen Schaufeln u. Hacken zermürbt, von der Angst bedrückt, stieg ich mit zugeschnürter Kehle u. Herzklopfen aus, rannte über die Brücke in der völligen Dunkelheit einer regnerischen Nacht, kam um die Ecke in unserer Straße, sah [illegible] liegen, leuchtete mit der Taschenlampe unser Haus an: eine schwarze Ruine. Also doch, es hat uns erwischt. Ich rannte zur Haustür u. las mit Tränen in den Augen einen kleinen Zettel: Wir sind bei Onkel Max, in Buch, Hoersterweg 78, stand darauf. Sie sind also gerettet, alle drei: Vater, Mutter, Großmutter.

  (...)

  Ich hatte keine 10 Minuten Zeit, ging nochmal in den Keller, es sollte ein Koffer von uns dastehen, ich fand ihn aber nicht. Ich mußte mich sehr beeilen, zurückzukommen, fuhr wieder mit der S-Bahn bis Witzleben — Kaiserdamm, hielt einen Wagen an, ein WH-Fahrzeug [WH = Wehrmacht Heer], was ausgerechnet zum Alexanderplatz wollte u. kam so, gottseidank ohne Alarm wieder zu unserer Kompanie. Ich berichtete dem Hauptmann, was los sei u. er gab mir 2 Tage Urlaub. Mehr war nicht zu machen. Wir werden hier alle dringend gebraucht, denn die Bahnhöfe müssen sofort klar gemacht werden. Von Kursus redet kein Mensch mehr. Es hieß, daß unser Räumkommando auf 14 Tage geht, sicher ist es aber nicht.

  Nun sitz ich also auf Wache, gestern abend wollte ich noch ein ganzes Postamt finden, um Dir zu telegraphieren, unterwegs heulten aber schon wieder die Sirenen u. ich mußte zurück. Nun habe ich 4 Stunden geschlafen u. die Wache geht bis 4 Uhr, kurz danach ist Wecken, um 630 Antreten, zum Schlafen komm ich also nicht mehr.

  Wir alle sind ausserordentlich mitgenommen, werden allerdings sehr gut verpflegt, gestern haben wir hier die Bahnhofswirtschaft ausgeräumt, eine teils mühsame, teils aber auch dankbare Aufgabe.

  (...)

  Von Kiaulehn nehme ich an, daß er auch abgebrannt ist, denn die ganze Gegend um den Lützowplatz ist schwer getroffen. (...) Meine 3 Leicas sind wohl gerettet, eine ist in Potsdam zur Reparatur, eine hab ich bei mir, die 3. hatte Vater im L'Gepäck [Luftschutzgepäck], die Robot ist bei Johanna (...)

  (...)

  sei nicht traurig um unsere Wohnung, wir wollen zufrieden sein, daß wir alle noch leben und gesund sind. Den größten aller unserer Schätze tragen wir ja jeder in unserem Herzen: unsere Liebe zueinander, auch sie kann uns keiner nehmen, nicht mal, wenn wir unseren letzten Atemzug getan haben! Mitten in all dem schrecklichen Wirrsal wollen wir uns dankbar dem Schicksal beugen!

  (...)



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